Esma Drkenda ist von Beruf ursprünglich Maschinenbau-Technikerin. Während des Krieges war sie eine der wenigen Frauen in der bewaffneten Verteidigung der Stadt. Selbst schwer kriegstraumatisiert durchlief sie eine mehrjährige Traumatherapie im SEKA-Haus auf Brac. Seit 2007 ist sie SEKA-Projektkoordinatorin und Vorsitzende des Frauenvereins SEKA Gorazde. Gleichzeitig ist sie Mitbegründerin und stellvertretende Vorsitzende des Veteranenvereins ‚Svjetlost Drine’ (‚Licht der Drina’), der kriegstraumatisierten Veteranen psycho-soziale und psychologische Hilfen anbietet.
Meine erste Begegnung mit Kuca SEKA fand im Sommer vor zehn Jahren statt, als ich mit einer Gruppe von Frauen und Kindern aus Gorazde auf die Insel Brac kam. Ich habe damals nicht einmal geahnt, welche Bedeutung diese Begegnung mit Kuca SEKA - mit Gabi, Mirjana, Vesna, Marija und Fani - für mich und mein Leben haben würde. Das Schicksal sandte mich dorthin, wo für mich ein neuer Lebensabschnitt begann; dort habe ich begonnen, wieder zu singen, zu riechen, zu fühlen ... zu leben. Mein Lieblingslied war damals Kemal Montenos ‚Vratio sam se, zivote’ (‚Leben, ich bin zu dir zurückgekehrt’).
Und in diesem Herbst sind es fünf Jahre, dass unser Projekt SEKA nach Gorazde kam, in die Stadt voller Stolz und Trotz, aber auch voller Schmerz und Trauer ...
SEKA bedeutet für Gorazde und seine Menschen sehr viel. Einer meiner Freunde sagte mir einmal, dass SEKA für ihn ‚ein Edelstein an der Drina’ bedeute. Viele Menschen sind bisher schon in SEKA voller Wärme, ehrlicher Wertschätzung und Aufmerksamkeit aufgenommen worden und haben diese Unterstützung bekommen, die unserem Geist und unserer Seele hilft, sich selbst bewusst zu werden und zu heilen.
Dann öffnen sich neue Wege; die Funken der Lebensenergie und Hoffnung werden geweckt; die Unruhe, Trauer und der Schmerz verblassen allmählich und durch den ‚Vorhang des Lebens’ beginnen mehr und mehr Sonnenstrahlen zu dringen.
SEKA und Gabi, das ist für mich so eng verbunden; denn die Haltung und Methode, die Gabi in ihrer Arbeit mit Menschen anwendet, ist verwebt mit dem ganzen Konzept der SEKA-Arbeit.
Für mich bedeutet es den größten Erfolg, dass SEKA nach Gorazde gekommen ist. Die Menschen haben nun hier die gleiche Chance, die mir das Schicksal vor zehn Jahren geschenkt hat: Ich weiß sehr gut, was es heißt, den Weg aus der Dunkelheit zum Licht zu finden. Es ist mir auch sehr wichtig, dass immer mehr Menschen die Bedeutung der SEKA-Arbeit erkannt und sie angenommen haben und immer mutiger an SEKAs Tür klopfen.
Sie wissen, dass sie hier alle willkommen sind, mit allem, was sie ausmacht: Die Erfahrungen, mit denen sie kommen sind unterschiedlich - aber jede wird in SEKA ernst und wichtig genommen; es wird keine gemessen oder bewertet.
Für mich sind diese fünf Jahre Projektarbeit in Gorazde sehr schnell vergangen und wenn ich zurück schaue, kann ich manchmal nicht glauben, dass unser kleines Team in dieser Zeit so viel erreicht hat.
Es ist nicht gerade immer leicht; es gibt auch Tage mit zu vielen Verpflichtungen, oder Tage, in denen ich mich mit meiner eigenen Hilflosigkeit auseinandersetzen muss - dann, wenn ich erlebe, wie die extrem schwierigen Lebensbedingungen es den Menschen zusätzlich erschweren, ihre Traumata zu überwinden, dann wenn ich fühle, wie viel leichter die Menschen leben könnten, wenn die äußeren Bedingungen nur ein wenig besser wären. Es gibt so viele Menschen, die kaum ökonomisch überleben können, dieselben, die bereit waren, ihr Leben in der Verteidigung dieser Stadt - für diesen Staat - zu geben.
Viele Menschen wachen jeden Morgen mit der Frage auf: „Wie kann ich heute Arbeit finden, um meine Kinder zu ernähren?”
Die Arbeit in SEKA ist daher nicht einfach, sie erfordert großen Einsatz und besonderes Engagement, Hartnäckigkeit und Kraft. Obwohl der Krieg schon lange zu Ende ist, gibt es noch immer so viel Schmerz und so viele Probleme. Auch 16 Jahre danach leidet die Mehrheit der Menschen täglich in ihrem persönlichen Leben unter der Ungeordnetheit und der Machtlosigkeit des gesellschaftlichen Systems. Die verzweifelten Lebensbedingungen vieler unserer Klienten machen uns immer wieder zutiefst betroffen und besorgt. Es ist nicht einfach, ihnen zu helfen, die Schrecken der Vergangenheit zu überwinden, während sie in der Gegenwart alltäglich mit existentiellen Problemen kämpfen müssen.
Zusätzlich ist der Gorazder Kanton (Landkreis) der ärmste Kanton in der bosnischen Föderation und Nichtregierungsorganisationen bekommen hier nur geringe oder gar keine finanzielle Unterstützung. Es wird auch immer schwieriger die Anforderungen der internationalen Geldgeber zu erfüllen und gleichzeitig den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden. Die Geldgeber wollen immer weniger Projekte wie SEKA finanzieren - sie meinen der Krieg ist lange vorbei. Doch das Bedürfnis der Menschen und der Gesellschaft nach Psychotherapie und Traumaarbeit wächst ständig.
Trotz aller Schwierigkeiten arbeitet SEKA nun schon 5 Jahre in Gorazde - am meisten dank Gabi und dem SEKA-Team, doch auch dank der vielen Menschen, die die SEKA-Arbeit verstehen, wertschätzen und unterstützen.
Wie ich eingangs schon sagte, kennen SEKA und ich uns schon viel länger als die fünf Jahre, die das Projekt in Gorazde ist; das Schicksal hat uns verbunden. Ich bin damals ins SEKA-Haus gekommen mit einer schweren Last aus der Vergangenheit, ohne Hoffnung und mit dem bitteren Geschmack von Krieg und Tod ... ich schleppte mich durchs Leben wie ein Roboter; ich vegetierte in meiner inneren Welt der Abgestumpftheit und Kälte.
SEKA wurde für mich mit der Zeit zu einem Hafen, in dem ich meinen ‚Sicheren Ort’ gefunden habe, wo ich begonnen habe, um mein Leben zu kämpfen. Ohne SEKA wäre es mir nicht gelungen zu überleben.
Wenn ich heute zurückblicke, wenn ich über mich selbst und mein Leben nachdenke, fühle ich, dass ich jetzt eine andere Esma bin. Aber es gibt sie noch in mir, diese Esma, die den Abgrund des Lebens berührt hat ... Ich achte und liebe sie; ich weiß genau, wo sie Fehler gemacht hat, was sie hätte besser machen können, was ich ihr nicht verzeihen aber was ich verstehen kann ... Sie wird immer ein Teil von mir sein und mein Lebensweg undenkbar ohne sie.
Ich bin heute glücklich mit dem, was ich im Leben habe, ich freue mich über kleine Dinge, ich kann lieben und kann trauern; ich lebe mit meiner Vergangenheit wie mit etwas, was in einer bestimmten Zeit mein Leben war, ich achte die Kraft und den Glauben der Kämpferin, die ich war; und ich liebe diejenige heute, der es gelungen ist, die Erfahrung und den Schmerz in Zufriedenheit und Glück zu verwandeln.
Wo bin ich heute - gemeinsam mit Gabi, Vera, Amina und Amela? Ich tue all das, was für SEKA nötig ist, was die Frauen und Kinder, was alle, die ins SEKA Haus kommen, brauchen. Mit viel Liebe und Elan und voller Freude bin ich Teil des SEKA-Teams. Ich habe Kolleginnen, die gegenüber SEKA empfinden genau wie ich - und für mich ist SEKA eine Quelle des Glücks, des Vertrauens, der Freude - aber auch ein Ort, an dem du weinen kannst - und niemand wird das je erfahren. Ich fühle SEKA als Teil von mir und umgekehrt.
Meine Arbeit als Koordinatorin macht mir Freude, aber genau so gerne verschönere ich das SEKA-Haus - mache Anstreicharbeiten, baue Regale ... Ich möchte, dass alle, die ins SEKA-Haus kommen, sich durch seine Atmosphäre einfach warm und angenommen fühlen. Das, was mir Gabi und SEKA gegeben haben, hat sich in mir verwandelt in das Bedürfnis, mich selbst in SEKA einzubringen. Diese Arbeit füllt mich aus und die Rückmeldungen derer, die ins SEKA-Haus kommen, geben mir neue Energie und Kraft.
Ich danke SEKA und Gabi und Mirjana, die SEKA ins Leben gerufen und so geformt haben, wie es heute ist - und ich danke Gabi dafür, dass SEKA nach Gorazde gekommen ist, für ihr Vertrauen in mich und die Möglichkeit, Teil dieses Projekts zu werden. Ich möchte mich auch bei all den Menschen bedanken, die SEKA im Laufe der vergangenen 15 Jahre unterstützt haben und natürlich auch bei denen, die SEKA heute unterstützen. Mit Ihrer Unterstützung haben Sie mir ermöglicht, dass ich meinen ‚sicheren Hafen finde’, der mir das Leben wieder geschenkt hat, und dass SEKA heute hier in Gorazde ist - als ein unermesslicher Reichtum für die Menschen, die hier leben.
September 2012 ... Jeder Herbst bringt eine Hoffnung, manchmal eine Liebe ... Herbsttage sind in Regen gebadet, aber es gibt auch die zauberhaften von einer angenehm warmen Sonne beschienen Intervalle ... Meine Gedanken wandern seit fünf Jahren Anfang September stets zurück zum 12.09.2012 - dem Tag der Eröffnung von Kuca SEKA in Gorazde.
Ich wünsche SEKA noch viele Geburtstage!!
Esma Drkenda